Geschichte der Vorgängerstiftungen bis zur Reformation

Altarpfründe fürs Seelenheil

 

Gründung der Stiftung bis zur Reformation

Altarpfründe fürs Seelenheil

von Assoc.-Prof. Dr. Wolbert Smidt

Die heutige Stiftung ähnelt nur noch in wenigen Punkten ihren ältesten Vorgängerstiftungen. Es sind eigentlich nur noch drei Elemente: Das heutige Grundstück der Stiftung ist ein Teilstück der alten „Breithufen“, sie die Familie Küchmeister 1359 stiftete. Außerdem gilt seit ältesten Zeit, einer alten noch stammesgeschichtlichen Rechtsregel folgend, dass der jeweilige Älteste der Familie auch Chef der Stiftung ist – heute ist es eine Art Ehrenvorsitz. Und drittens sind die Ländereien und Einkünfte seit dem 14. Jahrhundert „gottwohlgefälligen“ Zwecken gewidmet – ganz im Sinne der heutigen gemeinnützen Stiftungen. Das wurde aber damals noch recht anders verstanden.

Im Sonstigen sahen die mittelalterlichen Stiftungen allerdings noch ganz anders aus. Um anzufangen mit der Gründungsgeschichte: Die heutige Stiftung geht auf mehrere, unabhängig voneinander gegründete Stiftungen zurück, und zwar nach den Überlieferungen in den Stiftungsakten vier, die im 14. und 15. Jahrhunderten von drei verschiedenen Familien gegründet wurden. Zunächst gründete 1359 die adlige anhaltische Familie Küchmeister – die ursprünglich wichtige Dienstadlige am Dresdner Hof Heinrich des Erlauchten in Sachsen waren – eine mit dem großen „Breithufen“ genannten Grundstück vor Zerbst ausgestattete Stiftung. Dem folgte 1380 eine Stiftung von weiterem Vermögen, und zwar in Güterglück, von der selben Familie. Diese beiden Stiftungen wurden sicherlich seit jener Zeit gemeinsam betreut. Etwa zur gleichen Zeit erfolgte die Stiftung von Vermögen in Nutha und Trüben durch die begüterte Zerbster Bürgerfamilie Winkele im Jahr 1378. Diese Familie hat wohl später in der Küchmeister’schen Sippe eingeheiratet, denn im 16. Jahrhundert wurden deren Stiftungsgüter bereits zusammen mit den gestifteten Lehnsgrundstücken der Küchmeister zusammen genannt. Sie dienten allerdings einem anderen Zweck – dazu unten. Darauf folgte, in der Zeit des erstarkenden Bürgertums, in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Stiftung des Bürgers Hans Lietzo in Zerbst, der den „Lietzo’schen Stipendiengarten“ seinem gestifteten Benefizium übergab.

Was aber motivierte diese vier Stiftungen? Wir haben die originalen Stiftungsurkunden der ersten drei genannten Stiftungen, nur von der vierten gibt es nur noch eine fragmentarische Akte. Zusammen mit den Überlieferungen zu den mittelalterlichen Stiftungen der Zeit und deren Praxis lässt sich deren Funktion gut rekonstruieren. Was also waren deren gottwohlgefälliger Zweck? Wohlhabenden Stiftern ging es seinerzeit darum, Kirchendiener zu finanzieren, die so Gott dienen würden, also die verschiedenen Kirchendienste ausführen und davon leben konnten. Dabei galten Kirchen noch nicht, wie heute, als von Gesellschaft und Staat getrennte Institutionen – sie waren so sehr Teil des Staates und Gemeinwesens, dass jeder Dienst für die Kirche ein Dienst am Gemeinwesen als Ganzem war, da es so spirtuell gesichert wurde. Ideell ging es darum, dass diese Priester an einem Altar für die Seelen der Stifter und all ihrer Nachkommen bis in ewige Zeiten beten sollten. Dafür erhielten sie auf ewige Zeiten ein Einkommen aus dem gestifteten Vermögen. Worum ging es dabei aber ganz materiell? Die Familien achteten dabei darauf, dass diese Stiftungen (damals auch Præbenden oder „Pfründe“ genannt) auch ihren Interessen dienten – sie erhielt das Recht, die Empfänger dieser jährlichen Zahlungen selbst auszusuchen. Damit konnten zum Beispiel Familienmitglieder in der Kirche untergebracht und versorgt werden. Schon der erste 1359 genannte Küchmeister war Priester, und zwar Theodoricus. Später war der im späten 15. Jahrhundert in Zerbst tätige Gregorius Lyczow als Priester bezeugt, der offenbar von der Stiftung versorgt werden konnte. Da diese Stiftungen also einem „Altar“ dienten, wurden sie auch Altarstiftungen genannt.

Jeder Besucher von Gemäldegalerien kennt heute die oft prachtvollen und oft in höchster Formvollendung erschaffenen christlichen Kunstwerke des Hochmittelalters mit Heiligenszenen, und vor diesen, im unteren Feld kniend kleinere Figuren, die oft einen Familienvater mit Frau und Kindern darstellen. Diese großen Kunstwerke gehörten gewöhnlich zur Ausstattung einer solchen Stiftung. In Zerbst wurden diese beim Bildersturm am Anfang der Reformation wohl fast alle solchen Altarbilder verbrannt, doch aus zahlreichen anderen Städten sind diese erhalten geblieben und finden sich als Prachtstücke in allen größeren Gemäldegalerien – auch wenn deren ursprüngliche Zweck, nämlich einen gestifteten Altar auszustatten, heute nur noch sehr wenigen bekannt ist. In unserem Fall widmete der Stiftungsgründer Nicolaus Küchmeister (lateinisch genannt „Coci“, was in etwa einen dienstadligen Hofküchenmeister bezeichnet) sein Vermögen der St. Nicolai-Kirche – wie der Name nahelegt, galt diese Stiftung dem Hauptaltar des St. Nicolaus selbst, also dem Namenspatron des Stifters selbst. Die Stiftung der Familie Winkele war wiederum dem Altar der Heiligen Philippus und Jacobus gewidmet, die einen Altar gemeinsam hatten. Auch dies ist ohne weiteres zu verstehen: Der ältere der Winkeles hieß Jacob („Koppe“), also galt auch diese Stiftung seinem Namenspatron. Diese Widmung an bestimmte Altäre sicherte dabei gleichzeitig den besonderen Schutz der Heiligen, an deren unmittelbare Präsenz man glaubte und auch mit wertvollen Malereien beschwor, und deren Schutz somit die gesamten Stifterfamilien genießen konnten.

Mit der Reformation brach auch für die damals in allen alten deutschen Städten verbreiteten Altarstiftungen eine ganz neue Epoche an – was „gottwohlgefällig“ war, sah nun ganz anders aus. Damit beginnt die eigentliche Geschichte unserer Stiftung.